Gendern in der Belletristik (9)

Maria Poets, Übersetzerin: "Nicht ob, sondern wie wir gendern, sollte die Frage sein"

8. Juli 2021
Sabine Schmidt

Was für die einen die deutsche Sprache vollends ruiniert, verstehen andere als Frage der Höflichkeit – das Gendersternchen ist mittlerweile auch in der Welt der Literatur angekommen. Übersetzerin Maria Poets meint: "Es gibt das Bedürfnis zum Gendern, das teile ich. Aber im Deutschen haben wir noch nicht die richtige Form dafür gefunden."

Über das Gendern wird hitzig debattiert. Können Sie die Aufregung nachvollziehen?
Ich kann verstehen, dass Gendern ein wichtiges Anliegen ist. Ich kann ebenfalls nachvollziehen, dass das Sternchen oder andere Gender-Formen nicht ankommen. Dass so erbittert darüber gestritten wird, auch unter Übersetzer*innen, kann ich dagegen nicht nachvollziehen.

Warum nicht?
Viele Menschen haben ein Bedürfnis danach, dass sich endlich auch weibliches, queeres, diverses Leben in der Sprache spiegelt. Das ist ein legitimes Anliegen – wenn Gender-Sternchen aber nicht die richtige Lösung sind, müssen wir eben nach anderen Möglichkeiten suchen. Und wer, wenn nicht wir, die wir mit Sprache umgehen – Autor*innen, Lektor*innen, Übersetzer*innen, Journalist*innen – kann hier aktiv sein? Nicht ob, sondern wie wir gendern, sollte die Frage sein.

Wie sehen Sie persönlich das Gendern?
Ich finde es sehr wichtig, dass immer mehr Menschen für dieses Thema sensibilisiert sind. In Sachbuchtexten kann ich mit dem Sternchen oder anderen Formen gut leben, es stört mich inzwischen schon fast, wenn nicht gegendert wird. In Romanen gefällt es mir aber nicht, und beim gesprochenen Wort im Radio oder Fernsehen geht es oft unter, wenn die letzten Silben verschluckt werden. Es gibt das Bedürfnis zum Gendern, das teile ich. Aber im Deutschen haben wir noch nicht die richtige Form dafür gefunden. Die Lösungen, die im Moment ausprobiert werden, sind in meinen Augen zu umständlich und unelegant.

An welche Alternativen denken Sie?
Im Schwedischen wurde ein neues geschlechtsneutrales Personalpronomen erfunden. Diesen Vorschlag gibt es schon länger, aber inzwischen wird er mehr und mehr genutzt. Das ist eine schlichte, unauffällige, sehr gute Variante, durch die Sprache nicht komplizierter wird. So etwas könnten wir auch für das Deutsche erfinden. Sprache verändert sich und wird verändert, und zwei wichtige Antriebe dabei sind Originalität und Ökonomie. Die bisherigen Ansätze für das Gendern sind aus meiner Sicht aber nicht besonders originell und schon gar nicht ökonomisch. Sie machen Sprache nicht einfacher, sondern komplizierter, und das wird sich auf Dauer nicht durchsetzen.

Sie selbst befassen sich sehr intensiv mit Sprache, haben seit 2006 rund 60 Titel aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. Was reizt Sie an dieser Tätigkeit?
In meinem Fokus sind Unterhaltungs- und auch Heftchenromane. Wie die Kolleg*innen, die anspruchsvolle Literatur übersetzen, reizt mich die Sprache – aber mit einem anderen Akzent. Für mich kommt es zum Beispiel darauf an, Schachtelsätze aus dem Englischen aufzulösen oder Fremdwörter zu vermeiden: Der Text soll leicht zugänglich, aber nicht platt sein. Wenn man Unterhaltungsliteratur übersetzt, muss Sprache unauffällig sein – das gut hinzubekommen, ist die Herausforderung, die mich reizt.

Spielt das Thema Gendern bei Ihren Übersetzungen eine Rolle?
Die Antwort ist ein klares Jein. Bisher habe ich noch nie von den Verlagen Hinweise zu diesem Thema bekommen, Unterhaltungsliteratur gibt das in der Regel auch nicht her, und ich verwende keine Sternchen. Gendern fängt allerdings nicht erst bei diesen offensichtlichen Formen an. Ich achte etwa darauf, neutral zu formulieren, wenn das möglich ist. Zum Beispiel nicht: „Jeder im Raum starrte sie an“, sondern: „Alle im Raum starrten sie an“.

Warum dürfen das Sternchen oder andere Formen des direkten Genderns nicht vorkommen?
Weil man darüber stolpert – Sprache wird auf diesem Weg holprig und gerade nicht so unauffällig, wie sie in meinen Übersetzungen sein soll. Das passt nicht zur Unterhaltungsliteratur und zu dem, was Leser*innen erwarten.

In Übersetzungskontexten ist nicht nur das Sternchen zum Stein des Anstoßes geworden. Es geht zudem um die Person, insbesondere bei Amanda Gormans Poem „The Hill We Climb“ war das ein Aufreger. Wie sehen Sie die Entscheidung von Hoffmann und Campe, das kurze Werk gleich drei Übersetzerinnen anzuvertrauen?
Sicherlich ging es hier auch darum, sich in einer aufgeladenen Debatte klug zu positionieren – der deutsche Verlag galt hier mit seiner Entscheidung dann ja auch vielen als vorbildlich. Für Hoffmann und Campe kann ich die Entscheidung also verstehen. Insgesamt fand ich die Debatte aber irritierend. Zum Beispiel wäre Amanda Gorman mit der niederländischen Übersetzerin Marieke Lucas Rijneveld einverstanden gewesen, die sich mit ihrem Werk befassen wollte – deren Eignung dann aber dennoch wegen ihrer Hautfarbe in Frage gestellt wurde: weil sie nicht schwarz ist.

Wie muss man/frau sein, um sich als Übersetzer*in zu eignen?
Wenn man sich die Extreme anschaut, scheint die Frage leicht zu beantworten zu sein: Das Werk einer jungen schwarzen US-Amerikanerin, die politisch eher links steht, sollte vielleicht nicht unbedingt von einem 60-jährigen weißen, CDU-nahen Mann ins Deutsche übertragen werden. Ich habe allerdings Schwierigkeiten mit den starren Festlegungen. Man/frau sollte stattdessen die Freiheit haben, von Fall zu Fall entscheiden zu können, sollte hier insgesamt offener sein. Immerhin ist es eine wesentliche Fähigkeit von Autor*innen und auch Übersetzer*innen, sich in andere Personen hineinzuversetzen, die nicht sie selbst sind. Ich meine auch, dass ich Bücher von Männern übersetzen kann, obwohl ich eine Frau bin, und ich glaube ebenso, dass nicht-binäre Menschen Bücher von Frauen wie von Männern übersetzen können.

Was wünschen Sie sich von der Gender-Debatte?
Wir haben uns mit einem sehr wichtigen Thema auf den Weg gemacht, das finde ich enorm spannend: Sprache verändert sich immer, und hier haben wir sogar die Möglichkeit, sie bewusst zu gestalten. Nur ist es leider ungemein schwierig, über das Gendern zu debattieren: Sobald das Gespräch öffentlich ist, muss man mit einem Shitstorm rechnen. Ich wünsche mir eine konstruktive, offene Debatte – mit dem Ziel, schlichte, schöne Formen des Genderns zu finden.